Ein Schriftporträt der Kis Antiqua Now
Die Kis Antiqua gehört als »holländische« Barock Antiqua seit langem zum klassischen Repertoire der Schrifthersteller. Die unterschiedlichen Interpretationen der Originalformen des Schriftschneiders Miklós Kis offerieren heute ein breites Spektrum an Vielfalt und bieten Fachleuten viel Raum für Diskussion und Kritik. Hildegard Korgers Gestaltung bezieht sich weitgehend auf Originaldrucke, die Formensprache des Urhebers Miklós Kis hat sie kraftvoll und entschieden, aber mit großer Einfühlsamkeit in Bezug auf den Originalentwurf transformiert.

Nach nunmehr über 20 Jahren hat sie in Zusammenarbeit mit Erhard Kaiser im Auftrag der Firma Elsner+Flake ein Redesign ihrer seinerzeit für Typoart Dresden geschaffenen Fassung vorgelegt. Im Folgenden berichten Hildegard Korger und Erhard Kaiser, der das Redesign ausführte, über Miklós Kis, die Entstehung der Kis Antiqua und ihre Arbeit am Redesign. [gf]

Zur Geschichte der Kis Antiqua
»Dies ist die schönste alte deutsche Antiqua-Schrift« urteilte Jan Tschichold in seinem »Meisterbuch der Schrift«, das 1952 herauskam. Er meinte damit die unter dem Namen Janson bekannte Schrift, deren »wahrscheinlicher Schöpfer«, so damals Tschichold und die übrige Fachwelt, der Leipziger Schriftschneider und -gießer Anton Janson (1620–1687) war. 1954 jedoch konnten die damals wichtigsten Vertreter der Kis-Janson-Forschung, Harry Carter und George Buday, bekannt geben: Zweifelsfrei ist der wahre Schriftschöpfer der Janson-Antiqua der Ungar Miklós Kis.

Wer war der Schriftkünstler und Typograf Tótfalusi Kis Miklós? Hierzu geben der ungarische Kis-Forscher György Haimann(1) und der ehemalige künstlerische Leiter der D. Stempel AG, Horst Heiderhoff(2), Auskunft.

Miklós Kis wurde 1650 in Ungarn geboren. Er war Lehrer und ging 30-jährig nach Holland, um dort Theologie zu studieren. Von kirchlicher Instanz erhielt er den Auftrag, bei Elzevier eine ungarische Bibel herstellen zu lassen und deren Satz und Druck zu überwachen. Auf Rat eines Druckers ließ er sich zunächst bei dem bekannten Amsterdamer Schriftschneider und -gießer Dirk Voskens ausbilden, dessen gestalterische und handwerkliche Qualifikation er bald übertraf. 1683 beendete er die Lehre und machte sich selbstständig. Den Druck der ungarischen Bibel hatte er in Auftrag gegeben, wobei ein oder mehrere Exemplare mit einem in seiner neuen Antiqua gesetzten Titelblatt ausgestattet waren. Das war das erste Dokument seiner Tätigkeit als selbstständiger Schriftschneider.

Das Amsterdamer Schriftmusterblatt von 1684/85 aus der Werkstatt von Kis lässt auf eine beeindruckende Produktivität schließen. Es zeigt Antiqua, Kursive, Griechisch und Hebräisch. In der Kis-Janson-Frage war dieses Blatt zur Klärung der Urheberschaft entscheidend.

Man weiß, dass Kis auch andere Schriften schnitt und rege Geschäftsbeziehungen zu Schriftgießereien und Druckereien in Italien, Polen, Schweden, England und Deutschland unterhielt. 1689 beendete Kis seine Arbeit in Amsterdam, um sich in Ungarn niederzulassen. Er deponierte Matern bei Voskens oder dessen Nachfolger. Seine Reiseroute verlief über Leipzig, wo Matern verblieben, obwohl ein Kaufvertrag mit dem Nachfolger des inzwischen verstorbenen Anton Janson nicht zustande gekommen war.

1694 eröffnete Kis in Kolozsvár (heute Cluj-Napoca, Rumänien) neben einer Druckerei und Schriftgießerei auch eine Stempelschneiderei. Aus Holland hatte er Stempel und Matern mitgebracht, stellte aber auch weiterhin Stempel her. Mit seinen Schriften produzierte er eine umfangreiche Anzahl von Büchern. Als Typograf hätte er in Ungarn schulebildend sein können, doch löste seine Kritik an der Qualität der Druckerzeugnisse anderer Werkstätten lediglich Missgunst aus. Bekannt ist auch, dass er sich um die Alphabetisierung der ungarischen Bevölkerung und um eine Verbesserung der ungarischen Orthographie bemüht hat. Trotz schwierigster Bedingungen war sein Wirken in Ungarn äußerst vielseitig, doch versagte man ihm die gebührende Wertschätzung. 1702 starb Kis in Kolozsvár.

Offensichtlich war es weder Kis noch später seiner Witwe oder seinen Nachfolgern gelungen, die in Amsterdam und Leipzig hinterlassenen Matern nach Ungarn zurückzuholen. Erst 1720 tauchten Antiqua und Kursive von Kis in einem »Verzeichniß derer Holländischen Schrifften« der »Ehrhardtischen Giesserey« in Leipzig auf.


Die Typoart Kis Antiqua (1984–1990)
Ab Ende der 60er Jahre erarbeitete der in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) ansässige schriftherstellende Betrieb Typoart Dresden ein Programm, das seinen Schwerpunkt darin sah, wertvolle historische Schriften für den Werksatz in der DDR zu erschließen.

Die Produktionskapazität in Bezug auf die Neuentwicklung von Schriften war bei Typoart klein, andere Projekte wichtiger. Erst 1984 bekam ich vom damaligen Künstlerischen Leiter von Typoart, Prof. Dr. Albert Kapr, den Auftrag, mit der Zeichnung einer Replik der Kis Antiqua zu beginnen. Werkzeuge und Material waren damals Stift, Pinsel, Temperafarbe, Karton. Die Versalhöhe der zu zeichnenden Figuren betrug 6 cm, davon abhängig war die Höhe der Minuskeln. Die Vorgaben entsprachen jenen, deren Realisierung schon Anfang der 70er Jahre zum Schriftwettbewerb der RGW-Länder (damalige »Ostblock«-Staaten) verlangt wurden: 18 Einheiten wie für Verwendung auf Monotype-Setzmaschinen, d.h. für die schmalsten Figuren »i« und »l« standen 5 Einheiten zur Verfügung, für die breitesten »M« und »W« 18 Einheiten. Gleichzeitig war das Prinzip der Linotype-Setzmaschine zu realisieren, was bedeutete, z. B. den Buchstaben »n« von Antiqua, Kursive und eventuell der Halbfetten auf die jeweils gleiche Breite (Kegeldickte) zu bringen. Es gab keine Überhänge und natürlich keinen Kursivkegel. Die Schrift sollte im Fotosatz für beide Systeme realisiert werden können. Ende der 60er Jahre hatte Tschichold seine Sabon nach diesem Prinzip gestaltet. Dass es unter Berücksichtigung solch technischer Einschränkungen außerordentlich schwierig war, dem Charakter einer historischen Renaissance- oder Barock-Kursiven gerecht zu werden, versteht sich von selbst.

Entsprechend dieser Vorgaben zeichnete ich die Buchtype mit Antiqua, Kursive, Kapitälchen, Versal- und Minuskelziffern, Sonderzeichen, Interpunktionen und allen Akzentbuchstaben. Im Prinzip war der Schriftentwurf fertig.

Die weitreichendste Neuerung im Type-Design war die ab seit 1978 bei Typoart eingeführte Digitalisierung der Entwurfszeichnung und die computergestützte Weiterverarbeitung der Schriftdaten. Nach und nach kam es zu einer Reihe technisch bedingter Veränderungen mit neuen Möglichkeiten für die Gestaltung. In deren Realisierung sah ich eine große Chance, mich dem Original der Kis zu nähern. Eine größere Anzahl an Einheiten stand jetzt zur Verfügung, nämlich 54 anstatt vorher 18. Der durch die Weiterführung des Linotype-Systems bedingte Zwang zur Übernahme der Antiqua-Kegeldickten für Kursive und Halbfette fiel weg. Für die Kursive konnte ein entsprechender Kursivkegel eingeführt werden. So genannte Überhänge ermöglichten es, Buchstabenteile auf den nächsten Kegel zu bringen. Damit war es möglich, Ober-, Unter- und Langlängen harmonischer zu gestalten, sogar mit Schwüngen auszustatten, wie sie für historische Schriften des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts durchaus typisch waren. Schließlich wurde die Anzahl der Einheiten so erweitert, dass sie für den Entwerfer keine Rolle mehr spielte.

Diese Änderungen wurden nach und nach eingeführt und in der Entwurfszeichnung realisiert. Zunehmend gewannen die Buchstaben der Kis mehr Authentizität, wurden charaktervoller, schöner. Trotzdem war ich nicht zufrieden. Infolge der vielen zeichnerischen Eingriffe fehlte es den Alphabeten nun an innerer Homogenität, an Harmonie; sie wirkten nicht mehr wie aus einem Guss.

Mit veränderter Konzeption fing ich nach einem Jahr Pause von vorne an. Ich hatte die Mittelhöhe reduziert. Dies und die »Befreiung« von den Einheiten ermöglichte es mir, auch die Proportionen in der Horizontalen zu verändern und einzelne Formen besser auszubilden. Ich hatte die Kis »gelernt«, beim Zeichnen klebte ich nicht mehr an den historischen Vorlagen.

Typoart konzipierte die Kis-Replik als Werksatzschrift, d. h. sie wurde, wie bei Typoart zu dieser Zeit üblich, in jeweils drei Basisgraden ausgeführt. Entgegen der bisherigen Praxis hatte ich den Entwurf für den 20pt Basisgrad gezeichnet. Von dieser Größe ausgehend wurden für den 9pt Basisgrad die Proportionen der Binnenräume breiter, offener gehalten und die Vor- und Nachbreiten der Buchstaben etwas erweitert. Die Mittelhöhe wurde ein wenig vergrößert, dünne Formteile ein wenig angefettet. Damit unterscheiden sich die Werkgrade deutlich von den Auszeichnungsgraden. Keinesfalls wäre ein befriedigendes Ergebnis nur durch mechanisches Verkleinern des Auszeichnungsgrades oder ein simples Vergrößern des Werkgrades zu erreichen gewesen. Für den 48pt Auszeichnungsgrad wurden die Vor- und Nachbreiten der Figuren etwas reduziert, die Buchstabenabstände dadurch enger. Das ist nötig, damit die Buchstabenfolge im Verbund des Wortes und im Verbund der Zeile nicht auseinander fällt oder wie gesperrt aussieht. Insgesamt ist die Laufweite der Typoart Kis Antiqua etwas größer gehalten als beim historischen Original.

Mitte der 90er Jahre erwarb das Institut für Buchkunst an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig die Nutzungsrechte für die Kis Antiqua. Die Brauchbarkeit dieser Replik und ihre ästhetische Qualität bewiesen sich in Satz und Druck einer Schriftenreihe unter dem Titel »allaphbed«, die 1998 im Institut für Buchkunst herauskam.


Resümee
Repliken von ehemaligen Bleisatzschriften wie der Kis Antiqua kann man nicht einfach nur kopieren. Man muss die historische Schrift behutsam neu formen. Das erfordert eine Vielzahl technischer und formal-ästhetischer Entscheidungen von Hersteller und Gestalter. Von beiden erfordert es in besonderem Maße Respekt vor den Intentionen des Schöpfers der Schrift. Trotzdem spielt auch der individuelle Form- und Gestaltungswille des Entwerfers eine nicht unerhebliche Rolle, nur sollte er sich nicht in den Vordergrund drängen. Der Gestalter einer Replik bleibt in einer dienenden Funktion. Dies vorausgesetzt, kann die Gestaltung einer solchen Replik zu einer durchaus schöpferischen Leistung werden.

Bei der Kis haben Typoart und Gestalter weitgehende Annäherung an die historischen Quellen unter Berücksichtigung heutiger Lesegewohnheiten und Anwendungsbedingungen gesucht. Damals wurde an Typoart und mich das Ansinnen herangetragen, bei einer Replik von einem ausgewähltem Grad als Prototyp auszugehen. Wir vertraten jedoch die Auffassung, dass vielmehr die Replik ein Prototyp sein sollte, der sich aus einer Synthese aller Grade ergibt, wobei innerhalb des Alphabets dann eine größtmögliche Homogenität der Formen anzustreben ist.

Wir haben versucht, die charakteristischen und formal-ästhetisch besten Formen zu bewahren, mussten aber auch einige Figuren vom Vorbild abweichend gestalten. Hinzu kamen unverzichtbare Erweiterungen des Sortiments mit Versalziffern, Währungs- und Sonderzeichen.

Gerade stehende Kapitälchen wurden hinzugefügt. Für die Gestaltung von kursiven Kapitälchen sahen Typoart und ich keine Notwendigkeit; die wirkungsvollere Auszeichnung von hervorzuhebenden Textstellen innerhalb des kursiven Satzes bilden unseres Erachtens die Kapitälchen der Antiqua.

Zu ihrer Entstehungszeit hatten Originalschriften der Renaissance, des Barock oder des Klassizismus keine halbfetten Schnitte bekommen. Das wurde erst später im 19. Jahrhundert erforderlich, als ein größer gewordener Anwendungsbereich typografisch zu bedienen war. Die Ergänzung der Kis-Replik mit einem halbfetten Alphabet war geplant und begonnen. Zierversalien lagen zum Zeitpunkt der Einstellung der Schriftentwicklung bei Typoart Dresden Mitte 1990 bereits als Reinzeichnung vor.

Für die Gestaltung von Werksatzgrad und Auszeichnungsgrad einer Schrift genügt es nicht, die Grundzeichnung mechanisch zu verkleinern oder zu vergrößern. Eine umfangreiche zeichnerische Bearbeitung beider Basisgrade ist erforderlich, damit einerseits der Werksatzgrad auch bei starker Verkleinerung noch gut lesbar ist und andererseits der Auszeichnungsgrad seine Schönheit behält.

Unzulänglichkeiten, die historischen Bleisatzschriften und ihren Drucksachen eigen waren, sind aus den Computererzeugnissen verschwunden; damit aber auch eine spezifische Schönheit, eine spezifische Anmut. Der Computer hat Perfektion in das Schriftbild gebracht, damit aber auch eine neue Monotonie. Das heißt nicht etwa, dass zum Beispiel Schmitzränder, wie sie im Hochdruck entstehen, imitiert werden sollten. Bei der Kis Antiqua haben wir versucht, sterile Eintönigkeit zu vermeiden und das Schriftbild lebendig zu erhalten, indem wir bewusst Fettenschwankungen, Größenunterschiede und Kursivwinkelabweichungen sinnvoll eingearbeitet haben.

Hildegard Korger, Leipzig 2009


Die Schriftfamilie »Kis Antiqua Now«
Im Zuge der Revitalisierung ihres Typoart Schriftbestandes beschloss Elsner+Flake 2006, die Typoart Kis Antiqua von Hildegard Korger in überarbeiteter Form und erweitertem Umfang als OpenType Pro-Variante herauszubringen.

In den bei Elsner+Flake im IKARUS-Format vorhanden Datenbeständen aus dem Jahr 1989 waren vorhanden: Antiqua und Kursive mit Versal- und Minuskelziffern, Bruch- und Fußnotenziffern, (aufrechte) Kapitälchen, Punkturen, Akzente, Zeichen. Wie damals bei Typoart Dresden üblich, war die Schrift in den Größen von 9pt, 20pt und 48pt realisiert worden, was jeweils eine Modifizierung der im 20pt Grad angefertigten Ausgangszeichnung voraussetzte. Wie schon erwähnt, war eine Reihe von Zierversalien für die Kursive bereits fertig gezeichnet und der Entwurf einer halbfetten Antiqua und Kursive als Rohzeichnung begonnen. Aufgrund der Privatisierung des Betriebes Typoart im Zuge der deutschen Wiedervereinigung durch die »Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben« war es jedoch nicht mehr möglich gewesen, die seinerzeit laufenden Arbeiten fortzuführen bzw. abzuschließen.

Bis 2006 hatten sich die technischen Möglichkeiten für die Bearbeitung und Realisierung von Schriftentwürfen enorm erweitert und diese erleichtert. Das Figurensortiment der überlieferten Typoart Kis Antiqua musste gemäß des aktuellen technischen Standards aufbereitet und auf eine OpenType Pro-Belegung erweitert werden, was in diesem Fall auch eine neue Zurichtung einschloss. Durch Ergänzung mit einer wenig fetteren Book-Version und einem halbfetten Schnitt sollte die Kis Antiqua zu einer Schriftfamilie ausgebaut werden.

Das mit der Typoart Kis Antiqua vorgegebene ästhetisch-künstlerische Leitbild, der spezifische Charakter der Einzelfiguren wie des gesamten Schriftbildes, durfte bei der Übertragung auf die ergänzenden Figuren und besonders auf die Figuren der neuen, fetteren Schnitte keinesfalls formal und stilistisch verwässert werden.

Nach Rücksprache mit Frau Korger beauftragte Elsner+Flake Erhard Kaiser mit der Durchführung des Redesigns. Ausschlaggebend dafür waren nach Aussagen von Günther Flake Erhard Kaisers Ausbildung, die er an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig auf dem Gebiet der Schrift erhalten hatte sowie seine Arbeit als Gestalter, u. a. einer Replik der »Fleischmann« und deren Ausbau zur Schriftfamilie für die Dutch Type Library (DTL), mit der er sich international einen Namen gemacht hatte und einmal mehr beweisen konnte, dass er über ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen und über hervorragende Kenntnisse und Fertigkeiten auf dem Gebiet des Schriftentwurfes verfügt.

Veronika Elsner und Günther Flake gewährten Hildegard Korger und Erhard Kaiser gestalterisch freie Hand, standen beratend zur Seite und leisteten soweit erforderlich technische Unterstützung.

Erhard Kaiser bearbeitete alle Figuren der überlieferten Typoart Kis Antiqua mit großer Sorgfalt. Zur Aufbereitung gehörte hier vor allem, die vorhandenen Daten von Unsauberkeiten an Form und Kontur zu befreien, die in der Vergangenheit etwa durch elektronische Konvertierungen entstanden waren. Diese zwischen 1984 und 1990 entstandene Typoart Kis findet sich mit neuer Zurichtung im jetzigen Headline-Schnitt wieder. Ausgehend von diesem Headline-Schnitt (TH Pro Regular und Italic) besteht die Kis Antiqua Now-Familie aus dem Schnitt einer etwas kräftigeren Buchtype (TB Pro Regular und Italic) und einer deutlich fetteren Variante (TB Pro Semibold und Italic). Somit umfasst die Kis-Familie sechs Schnitte.

Die Buchtype (TB Pro Regular und Italic) entstand nicht etwa nur durch eine mechanisch-elektronische Anfettung. Eine solche Bearbeitung hätte neben anderen Problemen zu einer ungleichmäßig laufenden und für den Werksatz zu engen Schrift geführt; die Kursive wäre ihres schmalen Laufes wegen hierdurch sogar gänzlich unbrauchbar geraten. Für die Buchschrift wurde die Ausgangstype und ihre Kursive daher um ein Mindestmaß verbreitert bzw. »geöffnet«, auch in der Zurichtung und individuell bemessen für jede Figur. Erst recht wurde diese Verfahrensweise bei der halbfetten Variante erforderlich. Die Möglichkeiten mechanisch-elektronischer Modifikation eigneten sich in unserem Fall nur für den »Rohbau« der Buchstaben. Für die Feinarbeit wurde der Computer als Werkzeug der »Handarbeit« genutzt, wobei Erhard Kaiser auf seine Erfahrungen als Zeichner in der »computerlosen Zeit« zurückgreifen konnte.

Die halbfette Kis Antiqua Now (TB Pro Semibold und Italic) bildete den schwierigsten Teil der Arbeit. Besonders die Herleitung der Kursive aus einem derart schmallaufenden Vorbild wie der Typoart-Fassung, der Prägnanz ihrer grafischen Merkmale, ihrer Eleganz und grazilen Wirkung, war sehr anspruchsvoll. Die vorliegende halbfette Kis Antiqua ist werksatztauglich, passt zu den mageren Schnitten und zeichnet deutlich aus.

In Absprache mit Elsner+Flake nahm Erhard Kaiser für alle sechs Schriften der Kis Antiqua umfangreiche Komplettierungen und Erweiterungen vor, die von Hildegard Korger gestalterisch bestätigt wurden. Das erweiterte Figurensortiment der Kis Antiqua geht im Interesse eines opulenten Angebotes für die Typografen in jeder ihrer sechs Schriften über das hinaus, was für eine OpenType Pro-Belegung verlangt wird.

Im Standardzeichensatz wurden im Wesentlichen die Euro- und Yen-Symbole (in zwei verschiedenen Breiten), sowie @ und ¶ ergänzt. In den beiden mageren Kursiven gibt es zwei ¶-Formen.

Den Kapitälchen wurden einige Sonder-, Währungs- und Satzzeichen sowie separate Ziffern hinzugefügt. Die Kursiven erhielten ebenfalls Kapitälchen und Kapitälchenziffern. Alle sechs Schnitte verfügen somit über Kapitälchen und zugehörige Kapitälchenziffern.

Die vorhandenen Ligaturen fi fl ff ft wurden um fj tt ffi ffl fft ffj ct st ergänzt (im halbfetten Schnitt wurde auf ct und st verzichtet); hinzu kamen auch das lange s und dessen Ligaturen: si sl ss st sj ssi. Für alle drei Kursiven wurden zusätzlich die Ligaturen gg und gy angefertigt. Wie schon bei der Typoart Kis Antiqua erhielten die kursiven f- und Lang-s-Ligaturen zur Belebung des Schriftbildes unterschiedliche Neigungswinkel. Stärker noch als bei der Typoart Kis Antiqua variieren die Endungen ihrer Unterlängen in Form und Maß.

Bei den Ziffern enthält das auf OpenType Pro-Belegung erweiterte Sortiment neben den gewohnten Zurichtungen: Versalziffern mit proportionaler sowie Minuskelziffern mit tabellarischer Zurichtung. Da die Kis Schriftfamilie auch Kapitälchenziffern bekommen hat, gibt es diese sowohl in proportionaler als auch in tabellarischer Zurichtung (hier kleiner als Halbgeviert). Bei den Versalziffern mit proportionaler Zurichtung wurden besonders die Null und die Acht gegenüber denen mit tabellarischer Zurichtung etwas verbreitert. Außerdem wurden ergänzt: Nominatoren und Denominatoren (mit jeweils einigen Währungs- und Satzzeichen) und den daraus zusammengesetzten Festbrüchen (mit schrägem Bruchstrich), die sowohl mit proportionaler als auch mit tabellarischer Zurichtung vorhanden sind; Superior und Inferior (ebenfalls mit einigen Währungs- und Satzzeichen) und deren Brüche mit horizontalem Bruchstrich (auf Halbgeviert) und schließlich noch die Ordinalzeichen. Diese wurden nicht allein mechanisch verkleinert, sondern fetter und breiter als die Ausgangsbuchstaben gestaltet sowie etwas offener als diese zugerichtet. Die Rechenzeichen folgen der tabellarischen Zurichtung auf Halbgeviert und sind im Stand den Minuskelziffern angepasst.

Typoart war damals sehr daran interessiert, die Kursive zur Kis Antiqua um eine Anzahl von Zierversalien zu bereichern. Einige wenige Zierversalien waren in den Drucken von Kis nachweisbar. Andere wurden im Stile des kursiven Versals J und nach Auswertung historischer Quellen neu gestaltet. Es ist eine bewusste Entscheidung, dass kein vollständiges Alphabet von Zierversalien zustande kommt: I L O S U W X fehlen; auf eine durchaus mögliche Ergänzung wurde ausdrücklich verzichtet. Auch war es zur Zeit der Entstehung der Kis noch nicht üblich, den Schriften vollständige Zierbuchstaben-Alphabete beizufügen. – Die Zierformen, die 1990 fertig gezeichnet waren, aber von Typoart nicht mehr realisiert werden konnten, liegen jetzt vor.

Aus Gründen formaler Klarheit und guter Lesbarkeit kleiner Grade der Kursiven und Kursiv-Kapitälchen fügten Hildegard Korger und Erhard Kaiser jeweils ein alternatives, schlichtes J hinzu; auch ein zweites Zierversal-M. Außerdem erhielt das Sortiment die Zierligatur Th und geschwungene Formen des k und z sowie die schon erwähnten Ligaturen ct und st. Alle Formen sind in den historischen Quellen nachweisbar. Bei der halbfetten Kursiven wurde auf Zierformen von vornherein verzichtet.

Ausgehend von den überlieferten Minuskel-Akzenten wurden alle Versal-Akzente neu angefertigt und alle übrigen bearbeitet. In allen sechs Schriften sind die Versal-Akzente jeweils größer als die Kapitälchen-Akzente gehalten und diese wiederum sind größer als die der Minuskeln. Auch erfuhren alle mit dem Buchstaben verbundenen Akzente im Interesse einer schöneren Gesamtform in jeweils allen Schriften Anpassungen im Kurvenverlauf.

Für den Versalsatz werden die französischen Anführungen deutlich größer und höher stehend angeboten als die Anführungen für den gemischten Satz.

Das Kerning wurde von Erhard Kaiser bei dieser klassischen Antiqua vorsichtig bemessen. Es neigt nicht zur Übertreibung, wie das bei anderen Schriften häufig der Fall ist. Es war gestalterische Absicht, die Buchstabenabstände zwischen Versalien und anschließenden Minuskeln im Durchschnitt weiter zu halten als jene zwischen den Minuskeln. Nach Punkt, Komma und weiteren Satzzeichen steht bei der Kis-Familie ein verkleinerter Wortabstand; auch vor den Versalien, besonders vor T, V und W.

Im Verlauf der knapp zweijährigen Arbeit an der Kis Schriftfamilie wurden nach bestimmten Etappen 3600-dpi-Filmbelichtungen hergestellt. Diese dienten Erhard Kaiser und Hildegard Korger zur gemeinsamen Korrektur. Im Juli 2007 wurde ein achtseitiges Schriftmuster als Praxistest für die neue Kis Antiqua Now im Offset gedruckt.

Die technische Fertigstellung der Schrift, die Fontproduktion, lag in den Händen der Firmen Elsner+Flake und Apply Interactive, die die Definition und Programmierung der Features übernahmen. Die Schriftschnitte der Kis Antiqua Now werden als OpenType Pro Fonts für Apple Macintosh sowie im PC TrueType-Format für Microsoft Windows mit erweiterter lateinischer Zeichenbelegung angeboten. Zudem sind codepage-bezogene Belegungen im Format OpenType und TrueType in west- und zentraleuropäischer Belegung erhältlich.

Hildegard Korger, Erhard Kaiser, Leipzig 2009


1 Görgy Haimann, Tótfalusi Kis Miklós. Der Schriftkünstler und Typograf. Budapest 1972
2 Horst Heiderhoff, Zur Rehabilitierung des Nikolaus Kis. Aufsatz im Jahrbuch »Imprimatur«, Neue Folge Band viii, 1976, Gesellschaft der Bibliophilen, Frankfurt am Main



Kis-Antiqua Now, Schriftportrait-PDF (148 KB)

Kis-Antiqua Now, Schriftmuster-PDF (1,4 MB)

Portrait Typoart Kis Now PDF (200 KB)


Kis Antiqua Now ansehen