
Typoart
Die Erwähnung der Firma Typoart als ehemaligen Hersteller und Lieferanten von Bleilettern für den Handsatz sowie Messingmatrizen für Zeilengießmaschinen und späteren Anbieter digitaler Fonts für die RGW-Länder des Ostblocks stößt in der Regel auf fragende Gesichter. Nur Fachleuten waren die Namen der ostdeutschen Typografen und Schriftkünstler durch die auch im Westen wahrgenommenen Aktivitäten des Kreises um Prof. Dr. Albert Kapr bekannt. Selbst als durch Elsner+Flake 1985 im Westen die ersten Typoart-Schriften im PostScript-Format angeboten wurden, war in Unkenntnis der qualitätsvollen Arbeit der ostdeutschen Schriftentwerfer das Interesse an der Nutzung gering. Zu übermächtig und präsent war das schnell anwachsende Schriftangebot westlicher Firmen wie Adobe, Linotype und Scangraphic. Schriftanbieter wie die International Typeface Corporation (ITC) ließen über Jahre mit modernsten Herstellungsverfahren pro Quartal eine komplett neue Schriftfamilie mit bis zu acht bzw. sechzehn Schriftschnitten fertigen. Die Entwürfe dafür wurden weltweit eingekauft und zu günstigen Konditionen Herstellern in analoger und später digitaler Form zur Verfügung gestellt.
Um den Stellenwert der Schriftentwicklung bei Typoart verstehen zu können, muss man einen Blick auf die »Sowjetische Besatzungszone« in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg werfen. Eigentlich konnte man in Ostdeutschland zu dem Zeitpunkt nur noch von drei mehr oder weniger funktionsfähigen Schriftgießereien sprechen, die zudem unter den Kriegsschäden, den sowjetischen Reparationsforderungen und der politischen Neuausrichtung der sich gründenden DDR litten. Es waren dies die Schelter & Giesecke AG und die Ludwig Wagner KG, beide in Leipzig, sowie die Schriftguss KG in Dresden.
Die Schelter & Giesecke AG war die älteste dieser Schriftgießereien. Sie wurde von dem Stempelschneider Johann Andreas Gottfried Schelter und dem Schriftgießer Christian Friedrich Giesecke am 24. Juni 1819 gegründet. Bereits 1845 wurden die ersten Gießmaschinen aufgestellt. Später produzierte man mit Gießmaschinen, die im eigenen Betrieb gefertigt wurden. Schelter & Giesecke war lange Zeit führend im deutschen Druckmaschinen- und Schriftgießereigewerbe. Im zweiten Weltkrieg war der Betrieb unbeschädigt geblieben, wurde aber wegen Rüstungsproduktion im 2. Weltkrieg 1946 enteignet. Als Volkseigener Betrieb blieben Reparationsaufträge von Druckereiausrüstungen für die Sowjetunion bis in die fünfziger Jahre Schwerpunkt der Produktion.
Die Schriftgießerei Ludwig Wagner AG wurde 1902 in Leipzig gegründet. Der erfahrene Stempelschneider Ludwig Wagner übernahm im Jahre 1901 die kleine Gießerei von Gundelach & Ebersbach. Der Beginn seines neuzeitlichen Schriftschaffens und die Vergrößerung dieses Betriebes liegt vor 1914. Die umfangreichen Betriebsanlagen im Osten Leipzigs erlitten im zweiten Weltkrieg schwere Bombenschäden. Die Firma erhielt 1949 im Südwesten Leipzigs neue Produktionsräume. Nach dem immer stärker werdenden Druck zu staatlicher Beteiligung gab die Geschäftsführung der Ludwig Wagner KG 1960 den Betrieb auf und siedelte in die Bundesrepublik Deutschland über.
Der Betrieb Schriftguss KG, 1922 in Dresden als Nachfolger der Firma Brüder Butter gegründet, war im 2. Weltkrieg ebenfalls durch Bombenangriffe beschädigt worden, konnte aber im Juli 1945 die Produktion wieder aufnehmen. Noch im gleichen Jahr wurde durch die Sowjetische Militäradministration in Deutschland die Demontage des Betriebs als Wiedergutmachung von Kriegsschäden in der Sowjetunion verfügt. Einem Arbeiterkomitee des Betriebs gelang es jedoch, die Freigabe der Maschinen und Materialien für den Wiederaufbau der Schriftgießerei zu erreichen.
Aufgrund politischer Entscheidungen kam es zur Übernahme der Schelter & Giesecke AG und der Schriftguss KG durch Typoart. Im April 1961 kam es dann auch zur Eingliederung der Firma Ludwig Wagner KG in Leipzig sowie der Norddeutschen Schriftgießerei in Berlin. Da schätzungsweise zwei Drittel des Gesamtbestandes an Schrifttypen im Kriege vernichtet worden waren, bestand ein sehr großer Bedarf an neuen Schriften. Aufgrund des Mangels an Rohstoffen in der ehemaligen DDR konnten Bleilettern lange Zeit jedoch nur gegen Rückgabe von Altmetall geliefert werden. Die Herstellung von Messingmatrizen musste komplett neu aufgebaut werden. So dauerte es bis Anfang der fünfziger Jahre, bis unter Leitung von Herbert Thannhaeuser, der am 1. Oktober 1951 zum künstlerischen Leiter von Typoart berufen worden war, an die Entwicklung neuer Schriften gedacht werden konnte.
Die ersten Schriften, die Thannhaeuser 1951 für das Gussprogramm von Typoart ins Auge gefasst hatte, waren die von ihm entworfene Liberta Antiqua, Garamond und Magna. Alle drei Schriften wurden sowohl für den Hand- als auch für den Matrizensatz gefertigt und nach entsprechender Überarbeitung Anfang der Achtziger auch in das digitale Angebot von Typoart übernommen. Im Juni 1951 konnte auch die Matrizen-Produktion für die Zeilengießmaschinen mit der Schrift Primus offiziell aufgenommen werden. Die Primus war über Jahre die beliebteste Zeitungsschrift der DDR und wurde später sogar im Auftrag von der Firma H. Berthold AG auf Diatronic-Schriftscheibe für die Verwendung auf den beim Regierungsorgan »Neues Deutschland« eingesetzten Fotosatzbelichtern gefertigt.
Angeregt von der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig wurde Anfang 1959 ein Wettbewerb für die Gestaltung neuer Satzschriften ausgeschrieben. Mit 104 Schriftentwürfen war die Beteiligung unerwartet hoch. Darunter befand sich auch der Entwurf der Werkschrift Leipziger Antiqua von Professor Albert Kapr, dem nach dem Tod von Herbert Thannhaeuser 1963 die künstlerische Leitung des Schriftgießereibetriebes übertragen wurde. Albert Kapr war aufgrund seiner künstlerischen Vorbildung und seines organisatorischen Talentes schnell in der Lage, neue Prioritäten zu setzen. So etablierte er einen künstlerisch-technischen Beirat, dem Fachleute aus Verlagen und Druckereien sowie Künstler angehörten, um das Schriftprogramm unter anwenderbezogenen Gesichtspunkten gezielt weiterzuentwickeln. Kapr legte u. a. einen Produktionsplan vor, der in Zusammenarbeit mit anderen sozialistischen Ländern die Entwicklung von mehr als 40 Schriften vorsah.
Dem wachsenden Bedarf an Drucksachen begegnete die Führung der DDR mit der Bildung von Druckzentren unter Leitung der Zentrag. Diese wurden mit modernster Satztechnik aus dem Westen ausgerüstet, da eine vergleichbare Technologie von den DDR-Betrieben nicht geliefert werden konnte. Mit dieser Entscheidung begab sich die Zentrag jedoch in Abhängigkeit zu Schriftherstellern aus dem Westen. Eine weitere Folge war, dass die bisher verwendeten und bei Schriftwettbewerben eingereichten und prämierten Schriften auf Fotosatzgeräten nur noch eingeschränkt zur Verfügung standen. Zudem mussten die Schriftträger teuer mit für andere Bereiche notwendigen Devisen eingekauft werden. Diese Tatsache veranlasste die Zentrag eine eigene Fertigung von Fotosatzschriftträgern aufzubauen. Am 1. Januar 1970 wurde deshalb auch Typoart der Zentrag unterstellt und damit in das Eigentum der SED überführt. Im Juni 1971 konnte Typoart dann die Herstellung von Schriftplatten für die Linotron 505 aufnehmen. Es folgte die Fertigung von Schriftscheiben für das Handfotosatzgerät Diatype und für die Diacomp. Somit war es ab 1976 erstmals möglich in großem Umfang Schriften wie Maxima, Liberia, Garamond, Tschörtner und Leipziger Antiqua anzubieten.
Ein im Jahr 1968 ausgeschriebener und im Juni 1971 ausgewerteter Wettbewerb förderte die Entwicklung eigenständiger Schriften erheblich. Prämiert wurden von 77 eingereichten Arbeiten siebzehn Werk- und neun Akzidenzschriften. Den ersten Preis erhielt Gert Wunderlich für seine Maxima-Schriftfamilie. Für die Neugestaltung der klassizistischen Prillwitz-Antiqua errang Albert Kapr den zweiten Preis.
Dem technologischen Wandel und satztechnischen Notwendigkeiten folgend, wurden ab 1979 in den nun fünf DDR-Druckzentren digitale Hochleistungs-Fotosatzsysteme vom Typ Digiset eingeführt. Zuvor hatte die Zentrag bei Typoart die bei der Firma URW, Hamburg, entwickelte Outline-Digitalisierung von Schriftzeichen eingeführt. Diese Technik wurde nach umfassenden Tests in Hamburg im Dezember 1978 von Veronika Elsner in Dresden installiert und Mitarbeiter geschult. Das rechnergestützte Herstellungsverfahren ermöglichte es Typoart in relativ rascher Folge, zuerst die bereits im Handsatz und für den Matrizensatz vorhandenen Typoart-Schriften und später auch die Schriften aus den Schriftwettbewerben den Anwendern zugänglich zu machen.
Den Schwerpunkt der digitalen Fertigung bildeten dabei überlieferte, vorwiegend neu gestaltete Werkschriften, aber auch Entwürfe aus dem 1. Schriftwettbewerb wie die Maxima von Gert Wunderlich oder die Prillwitz-Antiqua. Um auch neue Auszeichnungsschriften anbieten zu können, veranstaltete Typoart 1984 einen weiteren Ideenwettbewerb, der mit 103 eingereichten Arbeiten von 39 Schriftentwerfern eine beachtenswerte Beteiligung erreichte. Die mit Preisen und Anerkennungen ausgezeichneten Schriften Kleopatra, Biga, Zyklop, Quadro und Molli waren bereits ab 1988 im Schriftangebot von Typoart zu finden.
Das digitale Angebot, das Typoart im Auftrag der Zentrag bis 1989 fertiggestellt hatte, umfasste entsprechend der in der DDR üblichen Klassifizierung vier Renaissance-Schriften (Bembo, Chinesische Antiqua, Garamond, Lektor), sieben Barock-Schriften (Baskerville, Fleischmann, Fournier, Kis-Antiqua, Leipziger Antiqua, Primus, Timeless), vier klassizistische Schriften (Fette Antiqua, Prillwitz, Schmalfette Antiqua, Walbaum), fünf serifenbetonte Schriften (Egyptienne, Magna, Neutra, Nidor, Schreibmaschinenschrift), fünf serifenlose Schriften (Norma Steinschrift, Maxima, Minima, Publica, Super), sieben Antiqua-Varianten (Biga, Eckmann, Kleopatra, Liberia, Molli, Quadro, Zyklop), zwei Schreib- und Pinselschriften (Hogarth-Script, Stentor) und drei gebrochene Schriften (Caslon-Gotisch, Luthersche Fraktur, Schwabacher).
Um das im Vergleich zum westlichen Angebot geringe Schriftprogramm beurteilen zu können, ist zu berücksichtigen, dass fast alle Schriften für zwei bis drei Größenbereiche erstellt wurden. Dabei muss insbesondere auf den multilingualen Zeichenausbau und die Erweiterung vieler Schriften um kyrillische und griechische Varianten verwiesen werden.
Die Veränderungen durch die deutsche Wiedervereinigung 1989 und die damit notwendige Privatisierung der volkseigenen Betriebe führte zum abrupten Ende der Schriftentwicklung bei Typoart. Für alle Teile des Betriebs Typoart, der 1990 in eine GmbH umgewandelt wurde, war dies eine problematische Situation, da die Entwicklung im Bereich der Satztechnik in Ost- und Westeuropa in den Jahren von 1980 bis 1990 sehr unterschiedlich verlaufen war und sich zudem zu diesem Zeitpunkt insgesamt in einer Neustrukturierung befand. Nach der Übernahme der Typoart GmbH im Mai 1991 durch die Firma HL-Computer, Berlin-West, wurde Typoart in mehrere Tochtergesellschaften mit unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern zergliedert. Ein Bereich befasste sich u. a. mit der Umsetzung der bei der Übernahme auf den Rechnern verbliebenen Schriftdaten in digitale Fontformate, um diese dem damaligen Desktop-Publishing-Markt anzubieten. Aufgrund des Preisverfalls der Fonts und des mangelnden Absatzes wurde der Vertrieb jedoch rasch eingestellt und bis heute nicht wieder aufgenommen.
Der sinnvollen Verwendung von Einrichtungen und Handsatzschriften der Hausdruckerei von Typoart nahm sich Eckehart SchumacherGebler an. Er gründete 1991 in Dresden ein Studio für Typografie, Satz und Druck, das in Räumen des ehemaligen Betriebes Typoart noch heute unter dem Geschäftsführer Manfred Richter arbeitet. Darüber hinaus erwarb SchumacherGebler für seine kulturhistorisch einmalige Sammlung von Bleisatzlettern und Matrizen den nahezu vollständigen Matrizenbestand für die von Typoart angebotenen Bleisatzschriften und den ersten kurz vor der Serienfertigung stehenden digitalen Typoart Satzbelichter »Typoset 240« sowie das dazugehörige Schriftprogramm. Der Matrizenbestand ist heute im Besitz des von ihm gegründeten »Museum für Druckkunst« in Leipzig.
Elsner+Flake vertreibt digitale Typoart-Schriften bereits seit 1985 in den Font-Formaten PostScript und TrueType, seit 2002 auch im OpenType-Format. Aufgrund des gestiegenen Interesses und des Erscheinens einer Vielzahl von Nachdigitalisierungen hat sich die Firma 2004 entschlossen, das komplette digitale Schriftprogramm auf Basis der bei Elsner+Flake im IKARUS-Format vorliegenden und von Albert Kapr autorisierten digitalen Originaldaten des Jahres 1989/90 wieder verfügbar zu machen. Dies geschieht in Zusammenarbeit mit ehemaligen Verantwortlichen, noch tätigen Typoart-Designern und aktuellen Rechteinhabern. Dazu wurden u. a. Lizenzverträge oder Vereinbarungen mit Gert Wunderlich, Hildegard Korger, Erhard Kaiser, Karl-Heinz Lange, dem »Museum für Druckkunst«, Leipzig, und Eckehart SchumacherGebler geschlossen, um soweit sinnvoll auch den Typoart Bleisatzbestand als Redesign wieder anbieten zu können. [gf03/09]
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Um den Stellenwert der Schriftentwicklung bei Typoart verstehen zu können, muss man einen Blick auf die »Sowjetische Besatzungszone« in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg werfen. Eigentlich konnte man in Ostdeutschland zu dem Zeitpunkt nur noch von drei mehr oder weniger funktionsfähigen Schriftgießereien sprechen, die zudem unter den Kriegsschäden, den sowjetischen Reparationsforderungen und der politischen Neuausrichtung der sich gründenden DDR litten. Es waren dies die Schelter & Giesecke AG und die Ludwig Wagner KG, beide in Leipzig, sowie die Schriftguss KG in Dresden.
Die Schelter & Giesecke AG war die älteste dieser Schriftgießereien. Sie wurde von dem Stempelschneider Johann Andreas Gottfried Schelter und dem Schriftgießer Christian Friedrich Giesecke am 24. Juni 1819 gegründet. Bereits 1845 wurden die ersten Gießmaschinen aufgestellt. Später produzierte man mit Gießmaschinen, die im eigenen Betrieb gefertigt wurden. Schelter & Giesecke war lange Zeit führend im deutschen Druckmaschinen- und Schriftgießereigewerbe. Im zweiten Weltkrieg war der Betrieb unbeschädigt geblieben, wurde aber wegen Rüstungsproduktion im 2. Weltkrieg 1946 enteignet. Als Volkseigener Betrieb blieben Reparationsaufträge von Druckereiausrüstungen für die Sowjetunion bis in die fünfziger Jahre Schwerpunkt der Produktion.
Die Schriftgießerei Ludwig Wagner AG wurde 1902 in Leipzig gegründet. Der erfahrene Stempelschneider Ludwig Wagner übernahm im Jahre 1901 die kleine Gießerei von Gundelach & Ebersbach. Der Beginn seines neuzeitlichen Schriftschaffens und die Vergrößerung dieses Betriebes liegt vor 1914. Die umfangreichen Betriebsanlagen im Osten Leipzigs erlitten im zweiten Weltkrieg schwere Bombenschäden. Die Firma erhielt 1949 im Südwesten Leipzigs neue Produktionsräume. Nach dem immer stärker werdenden Druck zu staatlicher Beteiligung gab die Geschäftsführung der Ludwig Wagner KG 1960 den Betrieb auf und siedelte in die Bundesrepublik Deutschland über.
Der Betrieb Schriftguss KG, 1922 in Dresden als Nachfolger der Firma Brüder Butter gegründet, war im 2. Weltkrieg ebenfalls durch Bombenangriffe beschädigt worden, konnte aber im Juli 1945 die Produktion wieder aufnehmen. Noch im gleichen Jahr wurde durch die Sowjetische Militäradministration in Deutschland die Demontage des Betriebs als Wiedergutmachung von Kriegsschäden in der Sowjetunion verfügt. Einem Arbeiterkomitee des Betriebs gelang es jedoch, die Freigabe der Maschinen und Materialien für den Wiederaufbau der Schriftgießerei zu erreichen.
Aufgrund politischer Entscheidungen kam es zur Übernahme der Schelter & Giesecke AG und der Schriftguss KG durch Typoart. Im April 1961 kam es dann auch zur Eingliederung der Firma Ludwig Wagner KG in Leipzig sowie der Norddeutschen Schriftgießerei in Berlin. Da schätzungsweise zwei Drittel des Gesamtbestandes an Schrifttypen im Kriege vernichtet worden waren, bestand ein sehr großer Bedarf an neuen Schriften. Aufgrund des Mangels an Rohstoffen in der ehemaligen DDR konnten Bleilettern lange Zeit jedoch nur gegen Rückgabe von Altmetall geliefert werden. Die Herstellung von Messingmatrizen musste komplett neu aufgebaut werden. So dauerte es bis Anfang der fünfziger Jahre, bis unter Leitung von Herbert Thannhaeuser, der am 1. Oktober 1951 zum künstlerischen Leiter von Typoart berufen worden war, an die Entwicklung neuer Schriften gedacht werden konnte.
Die ersten Schriften, die Thannhaeuser 1951 für das Gussprogramm von Typoart ins Auge gefasst hatte, waren die von ihm entworfene Liberta Antiqua, Garamond und Magna. Alle drei Schriften wurden sowohl für den Hand- als auch für den Matrizensatz gefertigt und nach entsprechender Überarbeitung Anfang der Achtziger auch in das digitale Angebot von Typoart übernommen. Im Juni 1951 konnte auch die Matrizen-Produktion für die Zeilengießmaschinen mit der Schrift Primus offiziell aufgenommen werden. Die Primus war über Jahre die beliebteste Zeitungsschrift der DDR und wurde später sogar im Auftrag von der Firma H. Berthold AG auf Diatronic-Schriftscheibe für die Verwendung auf den beim Regierungsorgan »Neues Deutschland« eingesetzten Fotosatzbelichtern gefertigt.
Angeregt von der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig wurde Anfang 1959 ein Wettbewerb für die Gestaltung neuer Satzschriften ausgeschrieben. Mit 104 Schriftentwürfen war die Beteiligung unerwartet hoch. Darunter befand sich auch der Entwurf der Werkschrift Leipziger Antiqua von Professor Albert Kapr, dem nach dem Tod von Herbert Thannhaeuser 1963 die künstlerische Leitung des Schriftgießereibetriebes übertragen wurde. Albert Kapr war aufgrund seiner künstlerischen Vorbildung und seines organisatorischen Talentes schnell in der Lage, neue Prioritäten zu setzen. So etablierte er einen künstlerisch-technischen Beirat, dem Fachleute aus Verlagen und Druckereien sowie Künstler angehörten, um das Schriftprogramm unter anwenderbezogenen Gesichtspunkten gezielt weiterzuentwickeln. Kapr legte u. a. einen Produktionsplan vor, der in Zusammenarbeit mit anderen sozialistischen Ländern die Entwicklung von mehr als 40 Schriften vorsah.
Dem wachsenden Bedarf an Drucksachen begegnete die Führung der DDR mit der Bildung von Druckzentren unter Leitung der Zentrag. Diese wurden mit modernster Satztechnik aus dem Westen ausgerüstet, da eine vergleichbare Technologie von den DDR-Betrieben nicht geliefert werden konnte. Mit dieser Entscheidung begab sich die Zentrag jedoch in Abhängigkeit zu Schriftherstellern aus dem Westen. Eine weitere Folge war, dass die bisher verwendeten und bei Schriftwettbewerben eingereichten und prämierten Schriften auf Fotosatzgeräten nur noch eingeschränkt zur Verfügung standen. Zudem mussten die Schriftträger teuer mit für andere Bereiche notwendigen Devisen eingekauft werden. Diese Tatsache veranlasste die Zentrag eine eigene Fertigung von Fotosatzschriftträgern aufzubauen. Am 1. Januar 1970 wurde deshalb auch Typoart der Zentrag unterstellt und damit in das Eigentum der SED überführt. Im Juni 1971 konnte Typoart dann die Herstellung von Schriftplatten für die Linotron 505 aufnehmen. Es folgte die Fertigung von Schriftscheiben für das Handfotosatzgerät Diatype und für die Diacomp. Somit war es ab 1976 erstmals möglich in großem Umfang Schriften wie Maxima, Liberia, Garamond, Tschörtner und Leipziger Antiqua anzubieten.
Ein im Jahr 1968 ausgeschriebener und im Juni 1971 ausgewerteter Wettbewerb förderte die Entwicklung eigenständiger Schriften erheblich. Prämiert wurden von 77 eingereichten Arbeiten siebzehn Werk- und neun Akzidenzschriften. Den ersten Preis erhielt Gert Wunderlich für seine Maxima-Schriftfamilie. Für die Neugestaltung der klassizistischen Prillwitz-Antiqua errang Albert Kapr den zweiten Preis.
Dem technologischen Wandel und satztechnischen Notwendigkeiten folgend, wurden ab 1979 in den nun fünf DDR-Druckzentren digitale Hochleistungs-Fotosatzsysteme vom Typ Digiset eingeführt. Zuvor hatte die Zentrag bei Typoart die bei der Firma URW, Hamburg, entwickelte Outline-Digitalisierung von Schriftzeichen eingeführt. Diese Technik wurde nach umfassenden Tests in Hamburg im Dezember 1978 von Veronika Elsner in Dresden installiert und Mitarbeiter geschult. Das rechnergestützte Herstellungsverfahren ermöglichte es Typoart in relativ rascher Folge, zuerst die bereits im Handsatz und für den Matrizensatz vorhandenen Typoart-Schriften und später auch die Schriften aus den Schriftwettbewerben den Anwendern zugänglich zu machen.
Den Schwerpunkt der digitalen Fertigung bildeten dabei überlieferte, vorwiegend neu gestaltete Werkschriften, aber auch Entwürfe aus dem 1. Schriftwettbewerb wie die Maxima von Gert Wunderlich oder die Prillwitz-Antiqua. Um auch neue Auszeichnungsschriften anbieten zu können, veranstaltete Typoart 1984 einen weiteren Ideenwettbewerb, der mit 103 eingereichten Arbeiten von 39 Schriftentwerfern eine beachtenswerte Beteiligung erreichte. Die mit Preisen und Anerkennungen ausgezeichneten Schriften Kleopatra, Biga, Zyklop, Quadro und Molli waren bereits ab 1988 im Schriftangebot von Typoart zu finden.
Das digitale Angebot, das Typoart im Auftrag der Zentrag bis 1989 fertiggestellt hatte, umfasste entsprechend der in der DDR üblichen Klassifizierung vier Renaissance-Schriften (Bembo, Chinesische Antiqua, Garamond, Lektor), sieben Barock-Schriften (Baskerville, Fleischmann, Fournier, Kis-Antiqua, Leipziger Antiqua, Primus, Timeless), vier klassizistische Schriften (Fette Antiqua, Prillwitz, Schmalfette Antiqua, Walbaum), fünf serifenbetonte Schriften (Egyptienne, Magna, Neutra, Nidor, Schreibmaschinenschrift), fünf serifenlose Schriften (Norma Steinschrift, Maxima, Minima, Publica, Super), sieben Antiqua-Varianten (Biga, Eckmann, Kleopatra, Liberia, Molli, Quadro, Zyklop), zwei Schreib- und Pinselschriften (Hogarth-Script, Stentor) und drei gebrochene Schriften (Caslon-Gotisch, Luthersche Fraktur, Schwabacher).
Um das im Vergleich zum westlichen Angebot geringe Schriftprogramm beurteilen zu können, ist zu berücksichtigen, dass fast alle Schriften für zwei bis drei Größenbereiche erstellt wurden. Dabei muss insbesondere auf den multilingualen Zeichenausbau und die Erweiterung vieler Schriften um kyrillische und griechische Varianten verwiesen werden.
Die Veränderungen durch die deutsche Wiedervereinigung 1989 und die damit notwendige Privatisierung der volkseigenen Betriebe führte zum abrupten Ende der Schriftentwicklung bei Typoart. Für alle Teile des Betriebs Typoart, der 1990 in eine GmbH umgewandelt wurde, war dies eine problematische Situation, da die Entwicklung im Bereich der Satztechnik in Ost- und Westeuropa in den Jahren von 1980 bis 1990 sehr unterschiedlich verlaufen war und sich zudem zu diesem Zeitpunkt insgesamt in einer Neustrukturierung befand. Nach der Übernahme der Typoart GmbH im Mai 1991 durch die Firma HL-Computer, Berlin-West, wurde Typoart in mehrere Tochtergesellschaften mit unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern zergliedert. Ein Bereich befasste sich u. a. mit der Umsetzung der bei der Übernahme auf den Rechnern verbliebenen Schriftdaten in digitale Fontformate, um diese dem damaligen Desktop-Publishing-Markt anzubieten. Aufgrund des Preisverfalls der Fonts und des mangelnden Absatzes wurde der Vertrieb jedoch rasch eingestellt und bis heute nicht wieder aufgenommen.
Der sinnvollen Verwendung von Einrichtungen und Handsatzschriften der Hausdruckerei von Typoart nahm sich Eckehart SchumacherGebler an. Er gründete 1991 in Dresden ein Studio für Typografie, Satz und Druck, das in Räumen des ehemaligen Betriebes Typoart noch heute unter dem Geschäftsführer Manfred Richter arbeitet. Darüber hinaus erwarb SchumacherGebler für seine kulturhistorisch einmalige Sammlung von Bleisatzlettern und Matrizen den nahezu vollständigen Matrizenbestand für die von Typoart angebotenen Bleisatzschriften und den ersten kurz vor der Serienfertigung stehenden digitalen Typoart Satzbelichter »Typoset 240« sowie das dazugehörige Schriftprogramm. Der Matrizenbestand ist heute im Besitz des von ihm gegründeten »Museum für Druckkunst« in Leipzig.
Elsner+Flake vertreibt digitale Typoart-Schriften bereits seit 1985 in den Font-Formaten PostScript und TrueType, seit 2002 auch im OpenType-Format. Aufgrund des gestiegenen Interesses und des Erscheinens einer Vielzahl von Nachdigitalisierungen hat sich die Firma 2004 entschlossen, das komplette digitale Schriftprogramm auf Basis der bei Elsner+Flake im IKARUS-Format vorliegenden und von Albert Kapr autorisierten digitalen Originaldaten des Jahres 1989/90 wieder verfügbar zu machen. Dies geschieht in Zusammenarbeit mit ehemaligen Verantwortlichen, noch tätigen Typoart-Designern und aktuellen Rechteinhabern. Dazu wurden u. a. Lizenzverträge oder Vereinbarungen mit Gert Wunderlich, Hildegard Korger, Erhard Kaiser, Karl-Heinz Lange, dem »Museum für Druckkunst«, Leipzig, und Eckehart SchumacherGebler geschlossen, um soweit sinnvoll auch den Typoart Bleisatzbestand als Redesign wieder anbieten zu können. [gf03/09]
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