Typoart Minima
Die von Karl-Heinz Lange gestaltete Minima wurde dem Fachpublikum erstmals 1985 ausführlich vorgestellt. Sie gehörte seinerzeit zu den wenigen Schriften, die gezielt für einen speziellen Verwendungszweck geschaffen wurden. Ausgelöst wurde die Entwicklung dieser Schrift durch einen Aufruf von DDR- Regierungsstellen, ökonomischer bei der Verwendung von Rohstoffen vorzugehen. Dieser Vorgabe sah sich auch Typoart verpflichtet und prüfte in der Folge die Möglichkeiten, durch den Einsatz spezieller Schriftdesigns den Papierbedarf zu minimieren, ohne die Lesbarkeit allzu sehr zu beeinträchtigen.
Im Vorfeld wurden zunächst die bereits zahlreich vorliegenden wissenschaftlichen Untersuchungen zurate gezogen. Nach Auswertung der Ergebnisse beauftragte Typoart 1984 Karl-Heinz Lange mit der Erstellung einer Expertise und der Vorlage entsprechender Designvorschläge.

In diesem Zusammenhang äußerte sich der damalige Leiter der Abteilung Forschung und Entwicklung bei Typoart, Detlef Schäfer, zu den Prioritäten der Aufgabenstellung. »Täglich entsteht eine unübersehbare Menge von gedruckten Informationen [bereits 1982 gab es in der DDR allein ca. 520 Fachzeitschriften mit einer Gesamtauflage von über 20 Millionen Exemplaren]*. Mit Hilfe moderner Kommunikationssysteme hat sich diese Entwicklung zwar verlangsamt, aber ein Rückgang ist noch nicht zu erkennen. Bei einem Teil dieser umfangreichen Papiermengen sind es nur wenige ganz spezielle Informationen, die für den Nutzer interessant sind. Das betrifft vor allem ausführliche Dokumentationen sowie Adress- und Telefonbücher, Bibliografien und ähnliche Nachschlagewerke. Bei ihnen spielt weder das Problem der Leseökonomie, also die Möglichkeit, Texte schnell lesen und aufnehmen zu können, noch das Problem des ermüdungsarmen Lesens eine Rolle. Vielmehr stehen ein geringer Platzbedarf und die sichere Erkennbarkeit von Einzelzeichen im Vordergrund.«

Als Ergebnis legte Karl-Heinz Lange eine Schrift vor, die bei einem Schriftgrad von 5 bis 6,5p und 1p negativem Durchschuss mit der Lesbarkeit einer schmalen 8p Groteskschrift konkurrieren konnte. Dabei konnten Papiereinsparungen von 30 bis 40% erreicht werden. Das erste umfangreichere Werk, das in der Minima gesetzt wurde, war das Leipziger Telefonbuch. Die Möglichkeit, mit Hilfe eines gezielt erarbeiteten Schriftdesigns Papier- und Druckkosten zu sparen und zudem die Handhabung von Drucksachen zu erleichtern, wurde mit der Minima eindrucksvoll bewiesen. Der Umfang des später gedruckten Berliner Telefonbuchs konnte z. B. um ca. 25% im Vergleich zur Vorjahresausgabe reduziert werden, was ebenfalls zu erheblichen Kosteneinsparungen führte. Karl-Heinz Lange selbst fasste seine Erkenntnisse 1985 in dem Artikel »Wovon die Lesbarkeit schmallaufender Textschriften abhängt« zusammen.

Detlef Schäfer bestätigte Mitte 1986 nochmals die erfolgreiche Einführung der Minima und fasste in einem Fachartikel zusammen: »Inzwischen ist reichlich ein Jahr vergangen, und mittlerweile liegt das Telefonbuch von Leipzig in dieser Schrift vor, die Telefonbücher von Erfurt und Berlin befinden sich in Vorbereitung. In Verbindung mit den nebenstehenden Schriftmustern möchten wir noch einmal kurz auf unsere Beweggründe eingehen, die zur Entwicklung dieser Schrift führten.

Ausgelöst durch die Beschlüsse von Partei und Regierung zum sparsamen Umgang mit Papier machten wir das Thema ›Papierökonomische Schriften‹ zum Schwerpunkt unserer theoretischen Arbeit im Bereich Schriftentwicklung, um damit entsprechend unseren Möglichkeiten einen Beitrag zu diesem wichtigen volkswirtschaftlichen Problem liefern zu können.

Dabei gab es schon vor diesem Zeitpunkt in der DDR und im Ausland viele Bestrebungen, das immer teurer werdende Papier mit Hilfe geeigneter Schriften besser auszunutzen. Solche Beispiele waren die ›Norma‹ von W. Kosubow, durch deren Einsatz in der ›Großen sowjetischen Enzyklopädie‹ die Anzahl der Bände von 55 auf 30 reduziert werden konnte, ohne dass an Information, Übersichtlichkeit und Lesbarkeit hätten Zugeständnisse gemacht werden müssen.
Oder nehmen wir die ›Biblica‹ von Kurt Weidemann [1983 bei der International Typeface Corporation als ITC Weidemann veröffentlicht]* als gelungenen Ausdruck der Bemühungen, für umfangreiche Werke christlichen Inhalts weiterhin preiswerte Ausgaben zu ermöglichen.

Und selbst eine Initiative der Redaktion der Zeitschrift ›technikus‹ aus unserer Republik, die mangels geeigneter Schriften vorschlug, Teile der Zeitschrift in einer 8p Univers zu setzen, deren Dickten entsprechend einer 6p-Schrift reduziert wurden, geht in diese Richtung. Dieses Beispiel kann nur einen Notbehelf darstellen und ist aus typografischen Aspekten abzulehnen, da eine solche pauschale elektronische Modifizierung einer Schrift zwangsläufig mit Mängeln behaftet ist.

So begannen wir, uns ab 1982 intensiv mit der umfangreichen Literatur zu Lesbarkeitsproblemen von Schriften zu befassen. Meist ist jedoch mit dem Begriff ›Lesbarkeit‹ mehr das Problem ›Leseökonomie‹, also die Möglichkeit, einen vorgegebenen Text möglichst schnell zu lesen und aufzunehmen, verbunden und weniger die eindeutige Erkennbarkeit von Einzelzeichen, die bei der Entwicklung der ›Minima‹ im Vordergrund stand.

Die Lesbarkeit im Sinne des schnellen und ermüdungsfreien Lesens ist bis zu einem bestimmten Grad an die Schriftgröße, an den Zeilenabstand, an eine normale Laufweite und an gewohnte Schriftbilder gebunden, so dass der besseren Platzausnutzung Grenzen gesetzt sind. Bei der ›Minima‹, die in erster Linie für Nachschlagewerke gedacht ist, spielt der Gesichtspunkt des ermüdungsfreien Lesens eine untergeordnete Rolle. Viel wichtiger ist die zweifelsfrei richtige Erkennung von Buchstaben und Zahlen.

Deshalb gestaltete der Autor der Schrift, der Grafiker Karl-Heinz Lange, alle die Zeichen, die durch ihre Ähnlichkeit häufig Anlass zu Verwechslungen geben, so unterschiedlich wie möglich.

Die Lesbarkeitsuntersuchungen stimmen darin überein, dass die Unterlängen verhältnismäßig wenig zur eindeutigen Erkennbarkeit beitragen, während der größte Informationsinhalt zwischen Schriftlinie und Mittelhöhe enthalten ist.
Deshalb wurde die Unterlänge der ›Minima‹ sehr stark reduziert und die Mittelhöhe fast bis an die Versalhöhe herangeführt mit dem Ergebnis, dass auch in kleinen Graden ein großes Bild entsteht. In Nachschlagewerken werden Suchbegriffe und wichtige Angaben wie die Telefonnummern in der halbfetten Schrift ausgeführt. Zur besseren Erkenn- und Unterscheidbarkeit wurde die halbfette Schrift deshalb sehr kräftig und etwas breiter gestaltet. Es würde zu weit führen, alle Merkmale hier zu nennen, die sorgfältig geprüft und hinsichtlich eines Optimums an Erkennbarkeit der Zeichen und dem erforderlichen Platzbedarf gestaltet wurden.

Im Ergebnis entstand eine Schrift, die bei einem Zeilenabstand von nur 5,5p hinsichtlich der Lesbarkeit mit einer schmalen 8p-Schrift durchaus vergleichbar ist. Die Schrift ist in dieser Ausführung nur für kleine und kleinste Grade gedacht. Sollte sich ein Bedarf für größere Grade beim weiteren Einsatz der ›Minima‹ ergeben, besteht durchaus die Möglichkeit, adäquate Schnitte zu entwickeln, die die ästhetischen Gesichtspunkte einer größeren Schrift entsprechend berücksichtigen. Vorläufig steht die ›Minima‹ nur in den Satzzentren der DDR auf dem ›Digiset‹-Satzsystem zur Verfügung.«

Dass die Minima ihren Anforderungen gerecht wurde und von den Grafikern und Typografen angenommen wurde, bestätigen auch die Aussagen von Nobert Du Vinage in seiner Betrachtung »40 Jahre Typoart – vier Jahrzehnte intensives Bemühen um niveauvolle Schriften«. Dort äußerte er sich wie folgt: »Besonders wichtig für das Schriftschaffen des Betriebes Typoart ist der Ausbau der Minima zu einer zeitgemäßen Grotesk-Familie. Die Schrift wurde zunächst als eine Papier sparende und trotzdem gut lesbare Variante für extrem kleine Grade entwickelt [Minima Index]. Befreite man sie von den Zwängen einer »Mini-Schrift« und gestaltete ihre Proportionen etwas normaler, so könnte daraus ein modernes Angebot für schmalspaltige Illustrierte und Werbeprospekte werden. Erste Entwürfe in zart, mager, halbfett und fett liegen bereits vor, so dass wir 1989 endgültige Ergebnisse präsentieren können.«

Die Grundzüge des weiteren Ausbaus stellte Norbert Du Vinage im November 1986 in seinem Programm »Zur Entwicklung neuer Satzschriften in den Jahren 1981 bis 94« vor. Hierin wird für den Bearbeitungszeitraum 1991 bis 1994 die Entwicklung und der Ausbau der Minima zu einer »modernen«, gut lesbaren Schriftfamilie projektiert. Seine Forderung lautete, sie solle auch in den normallaufenden Schnitten relativ schmal bleiben, aber von den Zwängen einer »Mini-Schrift«, die mit negativem Durchschuss setzbar ist, befreit werden. Geplant waren vorerst die Schnitte zart, mager, halbfett und fett sowie kursiv zart und kursiv.

Bedauerlicherweise wurde die Komplettierung der Minima Schriftfamilie durch die Folgen der deutschen Wiedervereinigung, die die Einstellung der Arbeiten und den Verkauf des Betriebes Typoart zur Folge hatte, verhindert. Erst 20 Jahre später hat Karl-Heinz Lange die Arbeiten an dieser Schriftfamilie wieder aufgenommen und in Zusammenarbeit mit dem Designer Ole Schäfer ein Redesign der für Typoart entworfenen Minima unter dem Namen Minimala veröffentlicht.

In der digitalen Typoart Bibliothek unter www.fonts4ever.com steht die Minima heute in den Schriftschnitten Regular/Oblique, Medium und Bold in jeweils drei Designgrößen für Indexsatz (unter 7p) sowie Text- und Headlinesatz zur Verfügung. Die Schriften basieren auf den bei Typoart digitalisierten Daten im IKARUS-Format und wurden für die aktuellen Datenformate technisch überarbeitet und auf die aktuellen Bedürfnisse bezüglich der Belegung (Europa Plus) angepasst. [gf.05/09]

*In Klammern […] gesetzte Texte sind Anmerkungen der Redaktion.

Bild 1: Die Minima wurde für Anwendungsgrößen von 4 bis 6 Punkt konzipiert. Später erfolgte die Erweiterung der Schriftgarnitur für die Größenbereiche 7 bis 72 Punkt.

Bild 2/3: Die Minima löste die bis dahin verwendete Schrift Maxima für den Satz von Telefonbüchen ab. Die Einsparung in der Zeilenlänge ist überdeutlich und erlaubte damit 4- statt 3-spaltigen Satz.

Bild 4: Erste Testwörter zur Minima für den Satz ab 9 Punkt. Vorgestellt von Norbert Du Vinage im November 1986 im Rahmen des Programms zur Entwicklung neuer Satzschriften.

Bild 4: Die Minima Index (gelb) wurde konsequent nach Lesbarkeit optimiert. Die Minima als eine schmallaufende moderne Schriftfamilie (blau) wurde für den Satz ab 9p neu gezeichnet.

Bild 5: Der Vergleich der Versalien "N" zeigt deutlich den Unterschied im Design der Größen-bereiche Index 4 bis 6p, Text 7 bis 12p und Headline 14 bis 24p.