Typoart Super Grotesk
Die ersten Entwürfe und Schriftschnitte der Super Grotesk entstanden ab 1930. Sie wurden von Arno Drescher im Auftrag der Schriftgießerei Schelter & Giesecke gestaltet. Schelter & Giesecke verlor nach dem 2. Weltkrieg die wirtschaftliche Eigenständigkeit und wurde auf Beschluss ehemaliger DDR-Regierungsstellen mit weiteren Betriebsteilen anderer Industriezweige zu VEB Typoart zusammengeschlossen. Im Zuge des Aufbaus eines vom Westen unabhängigen Gießereigewerbes griff man zu diesem Zweck vorrangig auf die im Krieg nicht zerstörten Stempel und Matrizenbestände der in Ostdeutschland ansässigen Schriftgießereien zurück.

Die Super Grotesk gehörte zu den Schriften, die als »zeitgemäße und unbelastete« Grotesk in größerem Umfang den grafischen Betrieben verfügbar gemacht wurden. Aus diesem Grund gehörte sie in der DDR neben der ebenfalls von Arno Drescher gestalteten Fundamental schon bald zur Grundausstattung jeder Setzerei.

Nach Einführung der digitalen Fontherstellungstechnik bei Typoart im Jahre 1978 entschloss sich Typoart zu einem »bedarfsgerechten« Redesign der Super Grotesk. Detlef Schäfer, damaliger Leiter der Abteilung Forschung und Entwicklung, stellte die von Karl-Heinz Lange im Auftrag von Typoart überarbeitete Super Grotesk 1987 in einem ausführlichen Schriftporträt der Fachwelt vor. Sein nachfolgender Artikel erschien unter anderem in der DDR-Zeitschrift »Papier und Druck«, der hier in leicht gekürzter Fassung wiedergegeben wird.

»Die Super gehört zur Gruppe der serifenlosen Schriften mit konstruktivem Charakter. Bei diesem Begriff denken vermutlich die meisten unserer Leser an die Futura von Paul Renner. Neben der Futura entstanden um 1930 weitere Schriften dieser Gruppe, unter anderem auch unsere Bleisatz-Super.

Versetzen wir uns in die Zeit nach dem 1. Weltkrieg und der Inflation. Die scheinbar so sicheren geistigen und materiellen Fundamente dieser Generation waren zerstört. In der Kunst hatte der Expressionismus seinen Höhepunkt überschritten und machte der ›neuen Sachlichkeit‹ Platz, einer Rückbesinnung auf einfache, häufig geometrische Formen, die sicher auch Ausdruck einer neuen ›Technikgläubigkeit‹ waren. Neben den bildenden Künsten, der Architektur und der industriellen Formgestaltung fand diese Sachlichkeit auch Eingang in die Schriftgestaltung.

Während Herbert Beyer als Vertreter des Bauhauses nach neuen Buchstabenformen suchte – ein Weg, der zumindest für die Werkschriften in eine Sackgasse führte –, liegt der Verdienst von Paul Renner (geboren 1878 in Wernigerode) wohl vor allem darin, dass er von den klassischen Proportionen der Schrift ausging und sie auf einfache Formen reduzierte.

Paul Renner legte 1925 erste Versuche zu einer neuen Schrift der Bauerschen Gießerei vor, die die Bedeutung dieser Arbeiten erkannte und sie 1928 als Futura auf den Markt brachte. Nach einigen Überarbeitungen entstand 1932 die Schriftfamilie in der Form, in der wir sie noch heute kennen und schätzen.

Auch andere Schriftgießereien entwickelten ausgangs der zwanziger Jahre unseres Jahrhunderts Schriften mit konstruktivem Charakter. Für die Schriftguss AG Dresden, einer unserer Vorgängerbetriebe, war es Prof. Arno Drescher, der 1930 die Super-Familie vorstellte. Prof. Drescher wurde 1882 in Auerbach (Vogtland) geboren, studierte an der Akademie für Kunstgewerbe in Dresden und ging später als Dozent und Rektor an die Staatliche Akademie für grafische Künste und Buchgewerbe nach Leipzig. Wie die Futura hat auch die Super eine weite Verbreitung gefunden und vertritt noch heute in der DDR und in den RGW-Ländern maßgeblich diesen Schrifttyp.

Beide Schriften gehen vom Prinzip der Bewahrung klassischer Proportionen aus, sie wollen einen Eindruck von konstruierten Formen mit gleichmäßig starker Strichführung vermitteln. Bei näherer Betrachtung erkennt man, dass es sich weder um konstruierte noch um gleich starke Striche handelt, sondern dass auf raffinierte Weise die optischen Täuschungen kompensiert werden, denen unser Auge unterliegt. So wird ein geometrisch exakter Gleichstrich innerhalb des Buchstabens häufig gerade nicht als solcher erkannt. Ein anderes typisches Beispiel ist ein Kreis, der als Buchstabe ›o‹ im Wort breiter als hoch wirkt, das heißt, ein kreisrund aussehendes ›o‹ muss etwas oval gezeichnet werden. Das zeigt aber auch, wie empfindlich diese scheinbar so ›einfachen‹ Schriften sind.

Über den Weg, den wir mit unserer konstruktiven Grotesk für den Fotosatz gehen, haben wir im Künstlerischen Beirat unseres Betriebes mit den namhaftesten Vertretern unserer Republik auf dem Gebiet der Schrift beraten. Nach vielen Diskussionen, vielem Für und Wider denken wir, einen guten Weg gefunden zu haben, der weder in einer Lizenzübernahme der Futura noch in einer reinen Adaption der Bleisatz-Super liegt. Auch die Futura und die Super waren Kinder ihrer Zeit, die zwar heute noch erstaunlich gültig sind, aber sich doch von neueren Schriften in ihrem Stil etwas unterscheiden.

Die relativ geringe Höhe der Gemeinen bei den Vorbildern weist deutlich auf die Entstehungszeit hin. Wir bevorzugen heute auch aus Lesbarkeitsgründen große Zeichen mit offenen Innenräumen.

Die klassischen Proportionen der Versalien, also relativ schmale Formen bei ›B‹, ›E‹, ›F‹, ›P‹ und breite Formen bei ›C‹, ›D‹, ›O‹, ›G‹, werden in vielen moderneren Schriften in Richtung eher gleichbreiter Zeichen zurückgenommen.

Die Aufgabe bestand darin, alle diese ›zeitbezogenen‹ oder auch individuellen Merkmale an einzelnen Zeichen zu neutralisieren, zu versachlichen oder – wenn nicht anders möglich – mit dem Stempel unserer Zeit zu versehen, ohne dass das Gesamtbild gestört wird und die angenehm einfachen und bescheidenen Formen verloren gehen, die den Reiz und die Ausdruckskraft dieser Schriftgattung ausmachen.

Die Auszeichnungswirkung der halbfetten Super oder Futura gegenüber den mageren Schriften reicht nach heutigen Gesichtspunkten bei weitem nicht aus, um einzelne Passagen deutlich hervorzuheben. Auch hier galt es, notwendige Änderungen vorzusehen.

Und wenn nun einmal die Entscheidung für eine neue Schrift gefallen war, dann war es nur noch ein kleiner Schritt, auch einige Detailformen stärker konstruktiv zu betonen bzw. einige durch Bleisatz und Matrizen notwendige Zugeständnisse, die im Fotosatz keine Daseinsberechtigung mehr haben, zu beseitigen.

Mit dieser sehr diffizilen Aufgabe haben wir Karl-Heinz Lange, Dozent an der Fachschule für Werbung und Gestaltung Berlin, betraut, der sich mit seinen Schriften Publica und Minima und der allgemein sehr gut bewerteten Magna-Überarbeitung auch international einen Namen gemacht hat.

Den gut eingeführten Namen Super haben wir für die neue Schrift übernommen, auch wenn sie sich in vielen Details sehr deutlich von ihrer Vorgängerin unterscheidet – ja, wenn man die geringe Variationsbreite für diesen Schrifttyp betrachtet, hat sie kaum noch etwas gemein mit ihr.

Wichtig für den Anwender sind weiterhin die ausgewogeneren Akzente, die früher immer etwas stiefmütterlich wegkamen. Neu sind die Minuskelziffern. Wesentlich zu sein schien uns eine gezeichnete und nicht mathematisch schräggestellte kursive Schrift, und abgerundet werden soll unser Angebot durch das breite Zeichensortiment und die deutlich bessere Lesbarkeit. Die kräftigere Auszeichnungswirkung der zarten bzw. halbfetten und fetten gegenüber der mageren Schrift wurde bereits erwähnt.

Im Gegensatz zur Futura und zur Bleisatz-Super haben wir noch keine schmalen Schriften in der Familie vorgesehen. Bei den schmalen Schriften lassen sich die konstruiert wirkenden Formen nicht so konsequent durchhalten, so dass Schriften entstehen, die man auch anderen Familien zuordnen könnte. Und da sieht es mit der Maxima, der Steinschrift und der Minima so schlecht nicht mehr bei Typoart aus, als dass man auf einer schmalen Super bestehen müsste. Auch kyrillische bzw. griechische Alphabete sind zur Zeit nicht im Programm geplant.

Mit der neuen Fotosatz-Super-Familie hoffen wir eine wichtige Lücke in unserem Sortiment geschlossen zu haben, die die Traditionslinie bewährter Vorgänger fortführt, aber deutlich neue Akzente setzt, die unseren heutigen Anforderungen an Satzschriften besser entsprechen. Nach unserer Meinung sind ihre Domäne Akzidenzen, Bildbände und Sachbücher mit nicht zu langen Texten, ebenso Zeitschriften, aber auch spezielle Beiträge und Titelschriften in Zeitungen.«


Zur Super Grotesk ist ebenfalls eine Schriftprobe herausgegeben worden, deren Konzeption, Texte und Gestaltung Norbert du Vinage übernahm. Er führte aus seiner Sicht dazu aus:

»Super ist ein mit dem Hause Typoart bereits fest verbundener Name. Er stand bisher für eine Bleisatzschrift, die im Hand- und Maschinensatz in den RGW-Ländern weite Verbreitung fand. Der Fachmann, welcher sie aus dem Buchdruck kennt, wird die Schrift in der nun vorgelegten Fotosatz-Variante kaum wiedererkennen. Sie war lediglich Ausgangspunkt und Namensgeber für unser neues Produkt. Die Super ist eine serifenlose Linear-Antiqua mit konstruktivem Charakter. Dieser Schrifttyp war eine Antwort der Schriftgestalter auf die von den Vertretern des Bauhauses ausgegangenen Bemühungen um eine ›neue Sachlichkeit‹ in allen Bereichen der Kunst. Da der 1. Weltkrieg und die Inflation die scheinbar so sicheren geistigen und materiellen Fundamente einer ganzen Generation zerstört hatten, musste ein neuer Stil gefunden werden, der ohne den Historismus der vergangenen Zeit auskam. Diese Suche führte zur Rückbesinnung auf die einfache, technische Form der Dinge, den kunstlosen Werkbestand. Für die Schrift bedeutete das die Zurückdrängung aller individualistischer Ausdrucksmittel, die Gestaltung klassisch proportionierter Figuren durch elementare, geometrische Formen mit scheinbar gleichmäßig starken Linien. Zuerst und zugleich auch am überzeugendsten ist die Lösung dieser Aufgabe dem Maler Paul Renner mit der Schrift Futura gelungen. In den Jahren 1928-32 erarbeitete er für die Bauersche Gießerei in Frankfurt am Main eine breit ausgebaute Schriftfamilie, die einen bis heute ungebrochenen Welterfolg erzielte. Natürlich bemühten sich ausgangs der zwanziger Jahre auch andere Schriftgestalter um moderne Typen mit konstruktivem Charakter. Für die Schriftguss AG Dresden, einer unserer Vorgängerbetriebe, war es Prof. Arno Drescher, der 1930 die Super-Familie vorlegte. Obwohl sie den gleichen Gestaltungsprinzipien wie die Futura folgte, hat sie aus heutiger Sicht deren typografische Qualität nicht erreicht. Wenn wir uns dennoch für eine Neugestaltung der Super und nicht für eine Lizenzübernahme der Schrift Paul Renners entschieden haben, so deshalb, weil auch die legendäre Futura in unserer Zeit nicht mehr alle Forderungen erfüllen kann. Mit einer deutlich größeren Höhe der Gemeinen, einer kräftiger auszeichnenden Halbfetten und einer neu hinzugefügten echten Kursiv haben wir versucht, den Ansprüchen moderner Typografie gerecht zu werden. Die Tendenz zu einer optisch einheitlichen Breite der Versalien, wie wir sie von den klassizistischen Schriften kennen, wurde auf die Super übertragen und damit auch im Versalsatz eine maximale Neutralität angestrebt. Außerdem wird man beim Vergleich der Alphabete von Futura und Super neben vielen Detail- und Proportionsänderungen eine Reihe prinzipieller Formunterschiede entdecken; so bei den Versalien C G J und R oder den Gemeinen c, f, j, und u, um nur die Wesentlichsten zu nennen. Wo nun liegen die hauptsächlichen Anwendungsgebiete für Schriften dieses Typs? Die neue Super ist unserer Meinung nach keine ausgesprochene Buchschrift, sie wird wohl vorwiegend im Akzidenzbereich eingesetzt werden. Aber auch für Bildbände und Zeitschriften mit nicht zu langen Texten ist sie vorzüglich geeignet und sollte besonders dort das Spektrum der unterschiedlichen Erscheinungsbilder erweitern.«

Die Typoart Super Grotesk gehörte auch zu den Schriften, die 1989 auf den bei Typoart entwickelten CRT-Belichter übernommen wurden. Ein Exemplar befindet sich noch heute im Besitz der Firma Typostudio SchumacherGebler, Dresden. Die Original-Bleisatzmatrizen der Super Grotesk gingen nach der Wiedervereinigung Deutschlands und dem damit verbundenen Verkauf von Typoart in das Eigentum von Eckehart SchumacherGebler über und befinden sich heute im Besitz des »Museums für Druckkunst« in Leipzig.

Die Schriftgarnituren der digitalen Typoart Super Grotesk in der seinerzeit von Albert Kapr autorisierten Ausführung sind heute Bestandteil der Typoart Bibliothek und unter www.fonts4ever.com in drei Fontformaten im Text- und Headline-Design in technisch überarbeiteter und ergänzter Belegung erhältlich.

Karl-Heinz Lange selbst hat nach über 20 Jahren in Zusammenarbeit mit dem Berliner Designer Ole Schäfer ein erneutes Redesign der Super Grotesk auf Basis der für Typoart erstellten Variante unter dem Namen Superla herausgebracht. In diesem Zuge wurden von ihm auch die bereits digital erhältlichen Typoart-Schriften Minima als Minimala und die von ihm ebenfalls für Typoart entworfene Schrift Publica als Publicala veröffentlicht. Mit Elsner+Flake entwickelte er 2007 die Rotola Pro Schriften sowie 2009 die Schreibschriftfamilie Viabella Pro, deren Ursprünge beide in der Zeit von Typoart zu finden sind. [gf.06/09]


Anmerkung der Redaktion: Bemerkenswert ist, das die von Jacob Erbar bereits in den ersten Schriftschnitten für Ludwig & Mayer gestaltete Erbar Grotesk keine Erwähnung in den Betrachtungen von Schäfer und Du Vinage fanden. Zumal die Erbar Grotesk die erste ihrer Art ist, die den neuen Groteskstil in größerem Umfang verfügbar gemacht hat.

Typoart Super Grotesk ansehen

Bild 1: Norbert Du Vinage gestaltete 1988 die Typoart Schriftprobe zu der von Karl-Heinz Lange für den digiitalen Satz überarbeiteten Super Grotesk, die neben der ebenfalls von Arno Drescher gestalteten Fundamental bis zum Erscheinen der Maxima schwerpunktmäßig eingesetzt wurde.

Bild 2: Die überarbeitete Super Grotesk wurde wie die meisten digitalen Typoart-Schriften in 3 bzw. 4 Größenbereichen geliefert. Für den Satz von kleinen Schriftgraden (4p-6p, Basisgrad 6p), Werkschriftgraden (7p-12p, Basisgrad 9p), mittleren Titelschriftgraden (14p-14p, Basisgrad 20p) und großen Titelschriftgraden (28p bis 72p, Basisgrad 48p).

Bild 3 und 4: Der Vergleich der 20p Super Grotesk mager und fett im Bleisatz zur digitalen Variante der Typoart Super Grotesk zeigt diese ihre deutliche Eigenständigkeit und einen starken zeitbezogenen Ausdruck.